„Das verzeihe ich dir nie“

Predigt von Stefan Höß im Go+ Gottesdienst am 30.04.2006 in Erlangen Tennenlohe

 

 

„Das verzeihe ich dir nie!“ – vielleicht haben Sie, als Sie das Thema dieses Gottesdienstes gehört haben, sofort an eine bestimmte Person denken müssen. Ich muss sagen, mir ist das so gegangen.

„Das verzeihe ich dir nie!“ –vielleicht hat ein Mensch Ihnen diese Worte schon einmal gesagt: „Das verzeihe ich dir nie“.

Oder: „Das verzeihe ich dir nie“ kam von Ihren Lippen. Oder oft ist es ja auch so, dass wir das gar nicht aussprechen – vielleicht nicht mal vor uns selbst eingestehen – aber in unserem Unterbewusstsein befinden sich diese harten Worte gleich neben dem Namen eines Menschen.

 

Um „Verzeihen“ und „Vergeben“ geht es auch heute bei uns in diesem Gottesdienst.

Und dieses Thema passt sehr gut in einen Gottesdienst, weil es auch ein sehr großes Thema in der Bibel ist.

 

„Vergebung“ ist ein großes Thema bei Gott.

Ihm ist es sehr wichtig, dass wir Menschen miteinander gut auskommen. Und zum „gut auskommen“ gehört eben auch das Verzeihen.

Mehrmals fordert er uns in der Bibel dazu auf, zu vergeben, wenn uns jemand etwas Böses getan hat. Eine Situation:

 

Eines Tages kam Petrus zu Jesus und fragt Jesus „Herr, wie oft muss ich meinem Mitmenschen vergeben, wenn er Böses gegen mich getan hat? Reicht es 7 Mal?“

Wahrscheinlich war er da ganz stolz auf sich selbst, als er das Jesus so gefragt hat. Er wird sich gedacht haben: „7 Mal – da wird Jesus stolz auf mich sein, dass ich bereit bin, gleich 7 mal zu vergeben“

Was sagt Jesus aber dazu? „Ähh Petrus, ist schon mal ein guter Anfang. Aber es wäre dann doch besser, wenn es 70 mal 7 mal wäre.“

 

Jesus sagt mit dieser Zahl 70 mal 7 „Petrus, immer wieder neu sollst du vergeben! Es gibt keine Grenze, wo Vergebung aufhört.“.   

Und was er hier Petrus sagt, sagt er auch immer noch heute uns.

Aber die Sache mit der Vergebung scheint eine der Sachen zu sein, von denen Jesus und die Bibel überhaupt oft spricht, die aber im tatsächlichen Leben nie so richtig funktioniert. Ich weiß das – und vielleicht wissen Sie das auch – wie schwer es manchmal ist, Menschen zu vergeben.

Dazu kommt noch: Viele Menschen wissen auch gar nicht genau, was mit „verzeihen“ oder „vergeben“ gemeint ist. Ich meine, dass ist auch keine leichte Frage.

Was ist denn Vergebung genau? Wie sieht denn das aus, Vergebung? Wie weiß ich denn, ob ich einer Person vergeben habe oder nicht? Das sind Fragen, die ich mir immer wieder mal stelle und auch weiß, dass andere sie sich stellen.

 

Und darum möchten wir uns jetzt erst einmal kurz anschauen, was Vergebung denn NICHT ist.

 

Erstens bedeutet Vergebung nicht dasselbe wie „etwas entschuldigen“.

Wir entschuldigen tollpatische Skifahrer, die uns über den Haufen fahren, wenn wir merken: es handelt sich hier um einen Anfänger. Was soll`s – Anfängerfehler, das ist mir als Neuling auf der Piste auch passiert.

Diese Situation ist auf jeden Fall ent- schuldbar. Aus vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen trifft den Skianfänger keine Schuld, er ist ent- schuldigt. Und wenn mich keine Schuld trifft, brauche ich dafür auch keine Vergebung mehr.

Vergebung ist nämlich erst dann gefordert, wenn das Böse, dass mir von einem Menschen angetan wurde, eben nicht ent- schuldigt oder wieder gut- gemacht werden kann. Wenn etwas nicht mehr ent- schuldbar ist – dann kann es nur noch vergeben werden.  

 

Zweitens ist vergeben nicht vergessen.

„Vergeben und vergessen“ ist ein landläufiger Spruch. Aber der Spruch ist falsch. Stellen Sie sich eine junge Frau vor, die in ihren jungen Jahren vergewaltigt wurde. Sehr wahrscheinlich wird sie diese Situation ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Wer könnte das auch schon von ihr verlangen? Und doch kann sie vergeben. Vergeben und vergessen ist nicht dasselbe. Vergeben ist genau das, was getan werden muss, wenn wir nicht vergessen können.

 

Drittens bedeutet Vergebung auch nicht, ein Fehlverhalten zu tolerieren.

Zu vergeben bedeutet nicht, alles Unrecht das mir geschieht, stillschweigend hinzunehmen. Vergebung macht ein schädliches Fehlverhalten nicht plötzlich positiv.  Ich darf meinen Mund auftun und liebevoll aber konsequent sagen, was meiner Meinung nach nicht in Ordnung ist – um meinetwillen, aber auch um des anderen willen.

Vergebung bedeutet nicht, ein Fehlverhalten zu tolerieren.

 

Viertens ist Vergebung nicht gleich Versöhnung.

Manchmal denkt man, wenn man jemandem vergibt, müsse man sich um jeden Preis wieder mit ihm vertragen – nach dem Motto: Vergebung ist gleich Versöhnung. Aber auch das ist ein Irrtum. Es stimmt – die Folge von Vergebung kann Versöhnung sein, aber Vergebung und Versöhnung sind nicht ein und dieselbe Sache.

Versöhnung ist nämlich erst dann möglich, wenn beide Parteien einen Schritt aufeinander zu gehen. Zur Versöhnung gehören immer zwei.

Zur Vergebung nicht. Vergeben kann ich auch dann, wenn mein Mitmensch nicht zur Versöhnung bereit ist (oder das vielleicht auch gar nicht mehr kann, weil er bereits verstorben ist). 

 

Jetzt haben wir geklärt, was Vergebung nicht ist.

Jetzt können wir uns langsam der Frage nähern, wie wir überhaupt auf die „Straße der Vergebung“ kommen können.

Und dabei gibt es eine Aussage, die eine ganz wichtige Vorbedingung ist. Er lautet: „Gestehe es dir ein!“

 

Gefühle der Wut - der Enttäuschung. Gefühle der Verletzung und Trauer.

Wir alle hatten solche Gefühle schon einmal einem Menschen gegenüber. Sie und ich, wir kennen diese Gefühle: den Eltern gegenüber, den Kindern, dem Ehepartner, einem Freund/einer Freundin.

 

Es gibt Menschen, die sind Profis im Unterdrücken dieser Gefühle. Sie können diese Gefühle einfach beiseite schieben oder schnell herunterschlucken wie ein verdorbenes Stück Fleisch.

Es gibt Menschen die fressen alles in sich hinein.

Aber was passiert mit einem Menschen, der zu viel verdorbenes Fleisch herunterschluckt? Er wird krank.

 

Und genauso ist es, wenn man die Verletzung einfach herunterschluckt. Man wird krank – vielleicht nicht körperlich (obwohl das auch manchmal sein kann, das nennt man dann psycho- somatisch), aber mit Sicherheit wird man innerlich krank.

Die Realität ist nämlich: ich habe solche Gefühle und ein Mensch hat bei mir solche Gefühle ausgelöst. Da gibt es nichts wegzuargumentieren oder herunterzuschlucken. Das muss ich mir eingestehen und das darf ich vor Gott eingestehen.

 

Die Bibel ist ein unheimlich ehrliches Buch. Sie spricht von solchen Gefühlen.

Besonders ist das der Fall bei den Gebeten und Liedern, die uns in der Bibel überliefert sind – die so genannten Psalmen. Menschen der Bibel drücken ihre Verletzung und ihren Schmerz in Worten aus. Zwei Kostproben:

 

„Denn nicht ein Feind höhnt mich, sonst würde ich es ertragen. Nicht ein Hasser hat groß getan gegen mich, sonst würde ich mich vor ihm verbergen. Sondern du, ein Mensch meinesgleichen, mein Freund und mein Vertrauter. Ohne Vorwarnung hole der Tod diese meine Feinde! Mitten aus dem Leben sollen sie gerissen werden, denn ihre Bosheit herrscht in ihren Herzen und Häusern.“ so in Psalm 55.

 

Oder noch eine Stufe extremer in Psalm 139: „Mein Gott! Wie sehr wünsche ich, dass du alle tötest, die sich dir widersetzen! Herr, wie hasse ich alle, die dich hassen. Ich hasse sie mit grenzenlosem Hass.“

 

Diese Gebete in der Bibel lehren mich: Ich darf meine verletzten Gefühle, meine Enttäuschung und meine Wut vor Gott bringen.

Wir dürfen uns nicht einbilden, dass Gott sagt: „Du darfst diese Gefühle nicht haben.“

 

Nein, im Gegenteil: Machs wie die Psalmbeter in der Bibel: Wenn Du wütend, verletzt oder enttäuscht bist und selbst wenn ein richtiger Hass in dir ist – dann komm im Gebet zu Gott und lass alles einfach mal raus. Kotz dich so richtig aus!

Und das darfst du glauben: Gott kann sehr gut mit deinem Zorn umgehen. Auch wenn da mal das ein oder andere Wort fällt, dass überhaupt nicht fromm ist. Gott weiß sowieso, was in deinem Herzen ist.

 

Unterdrücken und herunterschlucken – das ist nicht der richtige Weg. Sei ehrlich vor dir selbst und vor Gott. 

Und wenn du dir dafür die Zeit genommen hast, dann kommt die Zeit, in der du dich bewusst zu etwas entscheiden musst.

 

Du hast zwei Möglichkeiten mit deiner Verletzung umzugehen. Für beide Möglichkeiten können wir selbst uns entscheiden:

 

Die erste Möglichkeit ist: wir verlangen Vergeltung und Rache für den Schmerz, der uns zugefügt wurde.

 

Vergeltung und Rache können ganz unterschiedliche Gesichter haben. Sie können sich in Handgreiflichkeiten ausdrücken. Aber weil wir so „zivilisiert“ sind, ist das bei uns meist nicht der Fall. Bei den Meisten drückt es sich wohl anders aus:

Die Person vor anderen schlecht machen, Böses wünschen, Schwachstellen des anderen finden und darauf rumhacken, den anderen mies behandeln, Vorwürfe machen, sich freuen wenn es dem anderen schlecht geht.

Du kannst dich ja selber mal fragen: Was ist deine Vergeltungs- Taktik?

 

Rache und nicht- vergeben- wollen laufen Hand in Hand.

Rache und Vergeltung sind das genaue Gegenteil von Vergebung.

 

Die zweite Möglichkeit, wie wir mit unserer Verletzung umgehen können, ist Vergebung.

 

Vergebung ist letztlich nichts anderes als eine Entscheidung. Ich entscheide mich zu vergeben. Und darum kann uns Gott in der Bibel auch zur Vergebung auffordern. Vielleicht braucht es eine Zeit bis du so weit bist, aber wenn du vergeben möchtest, dann bist du auch irgendwann einmal so weit.  

 

Die Vergebung sagt: „Ich fordere keine Vergeltung für das, was du mir angetan hast. Es war falsch und du hast mir damit wehgetan. Aber ich rechne es dir nicht an. Ich habe deinen Schuldschein in meinem Kopf zerrissen. Es ist dir vergeben.“

 

Die Möglichkeit der Vergebung ist die weitaus bessere Möglichkeit. Nicht nur darum, weil das Gottes Wille ist – sondern auch darum, weil es das Beste für mich ist.

Wenn ich nicht vergebe, bleibe ich lange Zeit - vielleicht mein Leben lang – ein Gefangener - Gefangener meines eigenen Schmerzes und meiner Wut. Ich werde zu einem verbitterten Menschen. Verbitterte Menschen – das sind Menschen, die nicht vergeben konnten.

 

Aber trotzdem will ich Ihnen nichts vormachen: Vergebung ist nicht unbedingt leicht. Sie kann sich über Tage, Wochen und Monate hinziehen.

Aber haben Sie Geduld! Auch Gott hat Geduld mit Ihnen. Bleiben sie im Gespräch mit Gott – beten Sie zu ihm und seien Sie vor ihm ganz ehrlich.

 

Und das wollen wir jetzt auch machen. Wir wollen nun ein paar Minuten der Stille und des Gebets haben. Treten Sie nun ganz bewusst vor Gott und reden Sie mit ihm über Ihre Verletzungen und über das, was wir gerade gehört haben.

 

Zeit der Stille (3 Min.)


Anfangs sagte ich – vielleicht erinnern Sie sich – viele Menschen wissen gar nicht, was genau Vergebung überhaupt ist.

Ich hoffe, dass durch diese Predigt einige Fragen beantwortet wurden.

Andererseits ist es mit der Vergebung aber auch so, wie mit dem „verliebt sein“. Klar kann man versuchen, das „verliebt sein“ logisch zu erklären – aber um genau zu wissen, was „verliebt sein“ ist, muss man es selbst erfahren haben.

 

Haben Sie schon erfahren, dass Ihnen vergeben wurde?

Von einer, die erfahren hat, dass ihr vergeben wurde, möchte ich Ihnen erzählen.

 

Jesus war gerade zum Essen bei einem bekannten Theologen, dem Pharisäer Simon, eingeladen. Jesus, der Pharisäer und noch andere wichtige Menschen aus dem Ort ließen es sich gerade schmecken.

Und plötzlich geschah es, dass eine Frau zur Tür hereinkam. Die Gäste hielten den Atem an – das war doch… Ja, das war doch diese Frau, von der jeder im Ort wusste, dass sie eine Sünderin war, die ein unmoralisches Leben führte. Sie brach eins nach dem anderen von Gottes Geboten… und dazu auch noch viele Männergeschichten usw.

Die Frau war Jesus schon aufgefallen, denn als er in diesem Ort immer lehrte, war sie immer eine regelmäßige Zuhörerin. Ganz hinten, abgeschottet von den anderen, stand sie da.

Und nun schmiss sich diese Frau zu Jesu Füßen und weinte und schluchzte bitterlich. Und sie salbte Jesu Füße mit einem kostbaren Salböl, dass sie mitgebracht hatte.

 

Der Pharisäer Simon dachte sich „Wenn Jesus wirklich der Sohn Gottes wäre, dann würde er sich das nicht gefallen lassen. Dann würde er nämlich wissen, was für eine schlechte Frau dies ist.“

 

Doch Jesus sprach zu Simon: „Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Zwei Männer hatten Schulden bei einem Geldverleiher. Der eine schuldete ihm 500 Denare, der andere 50 Denare. Keiner von beiden konnte seine Schulden zurückzahlen. Darum erließ er ihnen ihre Schulden. Welcher von beiden wird ihn wohl mehr lieben?“

 

Und Simon antwortete: „Ich nehme an, der, dem er die größere Schuld erlassen hat.“ „Richtig“ erwiderte Jesus. Und weiter sprach er „Siehst du diese Frau? Wie sie dort weint und meine Füße salbt? Ich kann dir sagen, woher das kommt.

Sie hat verstanden, dass ihr ihre vielen Sünden vergeben wurden, darum hat sie mir so viel Liebe erwiesen.“

Und zu der Frau sagte Jesus: „Deine Sünden sind dir vergeben. Dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden.“    

 

Eine schöne Geschichte, finden Sie nicht auch?

Martin Luther schrieb etwas zu dieser Geschichte, dass mir immer wieder die Vergebung Gottes verdeutlicht.

Man merkt, wie er aus seinem Herzen schrieb:

 

Mir ist es bisher wegen angeborener Bosheit und Schwachheit unmöglich gewesen, den Forderungen Gottes zu genügen.

Wenn ich nicht glauben darf, dass Gott mir um Christi willen dies täglich beweinte Zurückbleiben vergebe, so ist´s aus mit mir.

Ich muss verzweifeln. Aber das lass ich bleiben. Wie Judas an den Baum mich hängen, das tu ich nicht. Ich hänge mich an den Hals oder Fuß Christi, wie die Sünderin.

Ob ich auch noch schlechter bin als diese, ich halte meinen Herrn fest. Dann spricht er zum Vater: „Dieses Anhängsel muss auch durch. Es hat zwar nichts gehalten und alle deine Gebote übertreten. Vater, aber er hängt sich an mich. Was soll`s! Ich starb auch für ihn. Laß ihn durchschlupfen.“

Das soll mein Glaube sein.

 

Ja, dass soll auch mein Glaube sein.

Und das möchte ich Ihnen zusagen: jeder, der sich an Jesus Christus hängt, kann die Vergebung Gottes erfahren. Für ihn ist Jesus Christus gestorben.

 

Ich lade ein zum Kreuz. Wir möchten nun eine Zeit haben, bei der wir unsere Sünde und unser Versagen zu Jesus ans Kreuz bringen.

Auf Ihren Plätzen haben Sie einen Stift und einen Zettel gefunden. Schreiben Sie auf, was Ihnen am Herzen liegt und bringen Sie es zu Jesus am Kreuz. Dort können wir unsere Sünde und unser Versagen loswerden.

Mir hilft es auch, wenn mir gar nichts Konkretes einfällt, dass ich einfach meinen Namen auf den Zettel schreibe und mein ganzes Leben zu Jesus bringe.

Ich lade ein zum Kreuz.

 

Kreuzaktion

 

Zuspruch:

Gottes Wort sagt im 1.Johannesbrief: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.

Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und er ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.“